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[question-1] :v: [question-2]
> [question-1//perspektive] viele ihrer projektaussagen sind als manifeste angelegt oder manifesthaft. alle avantgarde rangers nutzten das mittel der manifestation, um ihren eigenen informations"highway" zu verbreiten. mail art propagiert eine neue "alte" version des avantgarde -ismus: kein -ismus und kein dogma. aber viele ihrer (grafischen und/oder textlichen) aussagen gleichen einer manifestation. warum glauben sie, dass manifeste immer noch sinnvoll sind? ist mail art die letzte stufe der avantgarde evolution? :-)
>> [question-1//response]=[vittore baroni]
ich denke nicht, dass ich bewusst meine mail art texte in einem manifesthaften stil entwerfe. seit ich wohl oder übel - wie viele andere mail art veteranen - zu einem art "historiker" des korrespondenz kunst genres ("correspondence art genre") geworden bin, tendiere ich dazu, in einfacher form zu erklären, wie das postalische netzwerk funktioniert (wie z.b. in den oft abgedruckten "evolution of art" oder "organic tree" schematas). sie stellen den versuch dar, auf "objektive" (und/oder ironische, wie in meinem "mail art handbook" von 1986) weise zu beschreiben, was das netzwerk wirklich ist, und nicht ein set von instruktionen, das von anderen mit unterschrieben ist. wie ich in "arte postale (AAA, 1997) schrieb, gibt es in der 40 jährigen geschichte der correspondence art nur eine handvoll von proklamativen "mail art manifesten" (keines, das ich selbst initiiert habe, aber doch unterzeichnet) und glücklicherweise wurden sie auch wieder schnell vergessen. mail art und manifeste passen nicht zusammen: wie könnte ein text mit 10 oder 20 unterschriften repräsentativ für die gesamte mail art gemeinschaft sein? und wenn doch "alles erlaubt ist" in der mail art, wer braucht dann manifeste?
andererseits haben sie sich recht, dass einige meiner texte und einladungen in verbindung mit speziellen projekten stehen (trax, das "incongruous meeting of 1998", funtastic united network usw.) und sind mehr schematischer und didaktischer natur, aber nur, weil ich versuche, das konzept zu erklären. ein mail art projekt ist oftmals auch die herausforderung, eine gewisse kohärenz in den chaotischen mail art fluss zu bringen. ich stelle dann die regeln für spezielle "spiele" auf, an denen jeder freiwillig teilnehmen kann oder auch nicht. ich würde dies dann nicht mit den manifesten der historischen avantgarde vergleichen, da diese mit hierarchien gearbeitet haben. in der mail art steht es jedem frei, an einem projekt teilzunehmen oder es auch wieder zu verlassen. glücklicherweise hat mail art nicht einen breton oder debord, der andere in jeder minute von der bewegung ausschliessen kann. sicherlich hat es etwas vergleichbares, als ray johnson öffentlich leute von seiner korrespondenz liste geworfen hat. aber trotz allem ist es unter den mail artisten eher sportlicher spass, sich mit den avantgarde klischees zu beschäftigen.
aber gibt es überhaupt noch eine avantgarde? robert filiou, gründer der postal art, summierte einige jahrzehnte zuvor, dass es einer person physisch heute nicht mehr möglich ist, alles, was gleichzeitig in der kunstwelt passiert aufgrund der ständig wachsenden informationen, zu erfassen und daher auch nicht mehr bestimmen kann, was vorwärts zu bringen ist und was zurückbleibt. ich glaube, dass avantgarde zu einem gebrauchsgenre mehr verkommen ist, um produkte an ein zielpublikum zu verkaufen. betrachten wir doch das label "avantgarde" in mode und kunstmagazinen: dort werden zehn oder zwanzig jahre alte ideen für eine neue zuschauergeneration recycelt (ähnliches passiert auch in der "experimentellen" musik). wenn das dann kunst sein soll, dann bin ich daran nicht interessiert, dann bin ich einfach "networker" (netzarbeiter). vielleicht ist der wesentliche punkt der mail art, dass sie schliesslich das konzept der avantgarde beiseite gelassen hat in der manifestation einer "netzwerk kultur": innerhalb der mail art existieren die verschiedensten ansätze, techniken und sogar ideologien ohne konkurrenzdenken nebeneinander. wer kümmert sich darum, ob etwas alt oder neu, kunst oder poesie, tiefgründig oder naiv ist, für mein eigenes leben muss es brauchbar sein. die welt explodiert aufgrund von hass, mail künstler sind der lebende beweis für eine friedliche koexistenz, freundschaft über grenzen von alter und sprache, rasse und religion hinweg. der unterschied ist die OFFENHEIT in der bewegung: in der mail art wird alles gratis verschickt, keine teilnahme wird abgelehnt. sie ist ein wirkliches zwei-wege-system, etwa wie wenn man kunst in einem schmalen "prosumer heaven" spielen würden. man findet in der "amateurhaften" mail art gemeinschaft den gleichen prozentsatz an sinnlosem trash und versteckten kostbarkeiten wie in der kommerziellen kunstwelt, sicherlich beginnt man sich dann auch fragen zu stellen...mail art läßt einen die ganze nacktheit der "könige & königinnen" in der hohen kunst erkennen. und warum sollte man dann nicht das spiel auf die politik oder literatur ausdehnen (wie etwa das "wu ming" autoren kollektiv es nun in italien unternimmt, nachdem sie das blissett projekt verlassen hat)?
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> [question-2//perspektive] für gene youngblood ist die letzte möglichkeit der subversion, abwesend zu sein und eine autonome zone (ähnlich der TAZ zonen von hakim bey) zu bauen. sie bezeichnen sich selbst nicht als künstler, sie sind netzarbeiter. mail art adoptiert mcluhans aussage "das medium ist die botschaft" als "austausch ist die botschaft" (exchange is (in) the message) und öffnet dadurch eine autonome zone jenseits der grenzen hegemonialer kunst/politik. mail art als eine art globale "cultural jamming" session, wie mark dery vorschlug. ist das mail art NETLAND die letzte bastion jenseits der dominanten oberfläche? steht ihr projekt F.U.N. (funtatstic united nations) in einer alten piratenähnlichen tradition, sein eigenes virtuelles piratenauge zu schützen?
>> [question-2//response]=[vittore baroni]
ja - mail art ist seit den 60er jahren immer ein konglomerat von mentalen und physischen "autonomen zonen" gewesen, lange bevor hakim bey (der, nur so nebenbei, nur ein einziges mail art projekt in den 80ern organisiert hat) die TAZ idee formuliert hat. diese zonen sind ätherisch und unsichtbar, das macht sie stark (schwer zu finden und zu eliminieren), auf der anderen seite auch schwach (wie etwa innere strukturen). mail art ist ein vollständig heterogene, widersprüchliche, verwirrende form globalkulturellen jammings, oft auch ungewollt subversiv (einzig allein schon durch den aspekt, dass sie frei ist von den handschellen des kommerz). ich sehe es selbst als eine art von streich an, nicht der logik der zeitgenössischen kunst zuzuspielen (eine galerie haben, einen kunsthändler, werke zu verkaufbaren preisen usw.). ich bevorzuge es, meine brötchen in anderer weise zu verdienen. NETLAND ist ein imaginäres land, das mal hier mal dort ist, nicht die letzte zufluchtsstätte, aber eine von vielen: neue träumer gibt es jeden tag. 14 jahre nach dem ende der TRAX multimedia gruppe/labels (in sich selbst eine abwechslung vom konzept der "reinen" mail art) ist F.U.N. ein weiteres projekt, das ich mit meinem häufigen mitarbeiter piermario ciani entwickelt habe. F.U.N. soll sowohl leute innerhalb als auch ausserhalb des mail art netzwerkes involvieren und hat seinen fokus auf dem konzept der "imaginären länder", individueller "states of mind" für eine kreative de-globalisierung des planeten. die erste publikation, eine "box" mit briefmarken, stempel, postkarten, broschüren usw., wird 2002 erscheinen. ein weiterer schnappschuss in die utopie: was brauchen wir mehr in einer welt, die falsch läuft?
[-- übertragung aus dem englischen --]
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